• Es reicht! Das politische Branchenbashing muss ein Ende haben!

    Ein Kommentar von Cornelius Meyer

    Seit nunmehr einem Jahr windet sich die deutsche In- und Auslands-Tourismusindustrie in einem permanenten Zustand zwischen Hoffen und Bangen und erlebt nun mit der Diskussion rund um das letztlich nicht verhängte Reiseverbot einen empathischen Tiefpunkt im Umgang der Politik mit rund 3 Mio. Beschäftigten dieser Branche.

    Kein Rezeptionist, kein Pilot, kein Expedient und auch kein Reiseleiter ist schuld an der Pandemie, und doch müssen wir seit über zwölf Monaten eine öffentliche Diskussion über uns ergehen lassen, die unsere Arbeit und unseren Kundenservice an den Rand einer Schmuddelecke stellt. Eine Diskussion, die regelmäßig durch unreflektierte Statements von Politikern angeheizt wird, ohne damit einen Nutzen zu stiften.

    Dabei ist das Mantra-gleiche Abraten von Reisetätigkeiten das eine, die Diskreditierung unserer Branche aber etwas ganz anderes. Wenn u.a. der deutsche Tourismussektor, der seit über 50 Jahren blüht und der noch im Jahr 2019 eine Bruttowertschöpfung in Höhe von über 213 Mrd. Euro hervorgebracht hat, bereits im August 2020 von einer FDP-Spitzenpolitikerin als „totgerittene Branche“ bezeichnet wird und im März 2021 ein Mallorca-Urlaub vom Grünen-Chef mit „Koma-Saufen und einem Corona-Gelage“ gleichgesetzt wird, dann führt das zwar zu ganz viel Kränkung und Frust bei den Betroffenen, trägt aber in keiner Weise zur Bekämpfung des Infektionsgeschehens bei.

    Was bringt Verantwortungsträger eigentlich dazu, die Existenzen und Existenzgrundlagen fleißiger Kollegen, Mitarbeiter und Steuerzahler so unsensibel und pauschal zu denunzieren?

    Wissen diese Herrschaften denn nicht, dass man genau auf diese Art und Weise den Kontakt zu den Menschen verliert? Hier wird kein Mitgefühl für in Not geratene Arbeitnehmer transportiert, sondern gespalten und polarisiert. Denn genau so kommen treue Bürger überhaupt erst auf den Gedanken von „die da oben, wir da unten“. Doch wie konnte es so weit überhaupt kommen?

    Wenn die bundespolitische Chefin der SPD vor wenigen Tagen auf Twitter erklärt: „Das Gefühl einer großen Ohnmacht macht sich breit, angesichts der dritten Welle. Klar ist: Wir müssen Kontakte – wie im letzten Frühjahr – auf einen engen Kreis und das Nötigste beschränken und wo immer möglich im Homeoffice arbeiten und in Distanz lernen“, dann wird deutlich: Das politische Deutschland fühlt sich ohnmächtig im Kampf gegen das Virus und ist im März 2021 in Sachen Krisenmanagement keinen Schritt weiter als im März 2020. Nach einem Jahr im Ausnahmezustand fehlen noch immer Mut, Kreativität, Dynamik. Und obwohl im Februar 2021 das RKI klassische Urlaubstouristen vom Vorwurf der Virusverschleppung freispricht, wird der Schwarze Peter an uns weitergegeben, denn eine Differenzierung zwischen ethnischem Reiseaufkommen und Erholungstourismus wird entweder mutwillig oder fahrlässig unterlassen. Ein generelles Reiseverbot, das von oberster, uniongeführter Stelle angestoßen wurde, als ultimativer Stempel zum Sündenbock – weniger politische Empathie für die am stärksten betroffene Branche und ihre Arbeitnehmer geht wohl kaum. Daran ändert auch die juristische Absage an die Pläne nichts.

    Denn wenn sich die politische Führung so klar und einig darüber ist, dass Reisetätigkeiten die Übeltäter dieser Krise sind, warum wurde das dann nicht in aller Deutlichkeit manifestiert und dementsprechend konsequent gehandelt? Mit einem bedarfsgerechten Hilfs- und Überbrückungsprogramm für die Branche, das sich an eindeutigen Kennzahlen orientiert und nicht zuerst den einen und dann den anderen benachteiligt? Aus dem „Wumms“ wurde für viele ein „Wümmschen“, aus der Bazooka eine Schreckschusspistole.

    Für jede bisherige Überbrückungshilfe mussten wir kämpfen, und ja – sogar auf die Straße gehen. Permanent müssen unsere Verbände unsere Geschäftsmodelle erklären, und dann wird im Nachhinein doch wieder herumgedoktert. Willkür anstelle von Transparenz, Bürokratie anstelle von Hoffnung.

    Ein Leben zwischen Zuckerbrot und Peitsche ist für viele Beschäftigte unserer Branche zur neuen Realität geworden. Völlig überflüssige Prozess- und Anschaffungskosten – heute dürfen wir zwei Schritte nach vorne, morgen müssen wir drei zurück. Fatalismus und Resignation machen sich breit in diesem Land, wo wir so dringend Perspektiven und Zuversicht bräuchten. Denn was sollen kluge Hygienekonzepte, wenn dann doch wieder nur der „Lockdown“ gezogen wird?

    Und so kommt man unweigerlich an den Punkt, an dem man sich fragt: Kann eine Krise in diesem Ausmaß mit einer solch eindimensionalen Herangehensweise wirklich gemeistert werden?

    Zu Beginn der Pandemie wurde lautstark proklamiert, dass „die Menschheit durch die Corona-Pandemie vor der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg“ stehe. Wenn man sich das vor Augen hält, dann wird klar, wie wichtig Alternativen zum Lockdown, wie wichtig Strategien wären. Denn wer im Krieg auf jeden Angriff gleich reagiert, dem wird schnell der Garaus gemacht. Und nur wer Strategien entwickelt, kann diese bei Bedarf auch anpassen. Dass so etwas geht, zeigt die Stadt Tübingen seit einem Jahr! Und dass hier nun ebenfalls die Zahlen wieder steigen, liegt nicht an der eigenen Strategie – sondern an der Strategielosigkeit ringsherum.

    Denn leider lässt sich das Virus auch nicht auf eine Waffenruhe ein. Trotzdem gehen die Gesundheitsämter jedes Wochenende in die Pandemiepause. Und über Ostern sollen nun auch noch die Impfzentren dichtmachen. Im Klartext: Feuer frei für Infektionen! Der erhobene Zeigefinger unserer Politiker auf der einen, Stillstand in der Krisenbewältigung auf der anderen Seite. So betrachtet, darf es doch wirklich nicht verwundern, dass das Vertrauen der Menschen in die Krisenkompetenz von Bund und Ländern mittlerweile signifikant abnimmt. Impfdebakel, Testmisere und Korruptionsskandale noch nicht hinzugerechnet.

    Denn es gibt in diesem Land inzwischen so hohe Kollateralschäden, die in der politischen Diskussion einfach aus- oder überblendet werden. Kinderwohl, Frauenwohl, Familienwohl und ja – auch Selbstständigen- und Unternehmerwohl. Wo sind die Innenministerien, wo die Kultusministerien? Brauchen wir diese Institutionen noch, wenn sie sich in einer solchen Notlage vor allem wegducken?

    Man sollte meinen, die Aufgabe unserer politischen Führung läge darin, alles dafür zu tun, um jeden Bürger und alle Lebensbereiche so gut wie möglich durch die Bedrohungen zu führen, sprich: auch einfach mal nach links und rechts zu schauen. Mit einer frühzeitigen und konsequenten, bundesweiten Umsetzung des Tübinger Modells hätte man Branchen wie den Einzelhandel und die Gastronomie unterstützt und dadurch viel Geld gespart. Geld z. B. für eine zielgerichtete, branchenspezifische Rettungspolitik. Zumindest wäre es einen Versuch wert gewesen. Von der Bedeutung für die Lebensqualität ganz zu schweigen.

    Es ist legitim, die eigene Enttäuschung über das deutsche Krisenmanagement zum Ausdruck zu bringen – gerade in einer Branche, die in guten Zeiten einen herausragenden volkswirtschaftlichen Beitrag leistet und die nun zum Prügelknaben und zum Stiefkind degradiert wird. Es gibt Autogipfel, obwohl die Unternehmen Gewinne erzielen. Doch ein Tourismusgipfel? Fehlanzeige. Dabei waren wir einmal Reiseweltmeister.

    Es gibt eine Disruption ohne Disruptoren. Denn wenn die politischen Maßnahmen keinen anderen Konsum als Online zulassen, ist ein überproportionales Wachstum in diesem Segment auch keine Leistung. Natürlich ist die Digitalisierung auf dem Vormarsch und ist bei uns längst angekommen. Doch es ist politisch scheinheilig, den stationären Handel nun auf einmal als rückständig abzutun. In einem Land, in dem Behörden noch mit Faxgeräten arbeiten, hat auch der persönliche Tauschhandel noch seine Legitimation. Schon mal was von „Vorbildfunktion“ gehört? Und das vor allem amerikanische Giganten wie Amazon von der Schließungspolitik profitieren, zeigt ja, wo Deutschland digital steht.

    Und so wäre es höchste Zeit für neue, ganzheitliche, politische Impulse. Für Strategien und Konzepte, für die Fürsorge und nicht das Bashing von notleidenden Branchen.

    Liebe Politikerinnen und Politiker aller Parteien, wir, die Beschäftigten der deutschen Tourismusbranche, sind nicht schuld an Covid-19. Und wir sind auch keine verantwortungslosen Knallköpfe, die die Menschen aus Habgier zu infektiösen Strandorgien animieren.

    Nein – unsere Branche kämpft um ihre Existenz, und wenn die Hilfen vom Staat nicht reichen, dann sind wir dazu gezwungen, jeden Strohhalm zu ergreifen, der uns dabei hilft. Die Menschen wollen reisen, wollen raus aus dem deutschen Gewahrsam, und solange es keine eindeutigen, nachvollziehbaren und fairen Regeln dazu gibt, werden – ja, müssen – wir ihnen diesen Wunsch erfüllen. Das ist unser Job, nichts anderes, und nichts Verwerfliches.

    Lassen Sie uns nicht mehr hängen, sondern machen Sie sich bitte ein echtes Bild von unserer Branche und unserer Lage. Hier geht es nicht nur darum, einen Großkonzern mit Milliarden zu stützen, sondern hier geht es auch und vor allem um einen gesunden Mittelstand, der den deutschen Bürgern ein vielfältiges und sicheres Reiseangebot macht.

    Wenn wir dieses Angebot aussetzen sollen, dann müssen wir darüber reden, und zwar miteinander und nicht gegeneinander. Dann müssen konstruktive Pläne entwickelt werden, die den Unternehmen und den Reisewilligen eine Perspektive geben. Hören Sie einfach auf, mit blindem Aktionismus und irreführenden Aussagen den Ruf unserer geliebten, soliden und rechtschaffenden Branche zu beschädigen. Drei Millionen Beschäftigte und zuletzt 70 Millionen Touristen werden es Ihnen danken.

    Filderstadt, 31. März 2021


    Cornelius Meyer ist Diplom-Betriebswirt und als langjähriger Touristiker ein Marketing-Profi. Seit 2007 führt er als einer von zwei Vorständen die BEST-RMG Reisen Management AG/BEST-REISEN. Die Vertriebskooperation, die ausschließlich Reisebüros gehört, vereint 650 inhabergeführte Reisebüros, die sich durch ausgeprägte Dienstleistungsqualität auszeichnen.

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